Angesichts der Dramatik des Klimawandels und nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 1 erheblichen Handlungsdruck auf die Politik ausgeübt hat, sollten sich alle politischen Entscheidungen einer Klimaverträglichkeitsprüfung stellen und sie bestehen. Das gilt insbesondere für klimarelevante Investitionsentscheidungen wie die Frage, ob Stuttgart21 einfach weitergebaut werden kann, gar noch mit aufwändigen weiteren 47 km Tunneln.
Welche Klimabelastungen das Projekt verursacht, ist insbesondere in einer Studie des Verkehrsberaters Karlheinz Rößler zur „Quantifizierung der Treibhausgasemissionen des Projekts Stuttgart 21“ 2 von Oktober 2017 analysiert worden. Danach verursachen die großen Mengen eingesetzten (Stahl-)Betons sowie die Verkehrsverlagerung von der Schiene auf die Straße infolge verringerter Leistungsfähigkeit von S21 in verschiedenen Szenarien zwischen 3,5 und 5,6 Mio. t CO2 bis 2050. Hinzu kommen erhebliche Feinstaubemissionen und schwer quantifizierbare Schäden an Umwelt und Artenvielfalt durch weiträumige Bodenversiegelungen, Baumrodungen und die Förderung des Flugverkehrs durch einen zusätzlichen Flughafenbahnhof.
So wie bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Investitionen verlorene Kosten (sunk cost) keine Rolle spielen dürfen, müssen Klimaverträglichkeitsprüfungen vom Hier und Jetzt ausgehen. Die Klimaschädigungen durch den bisherigen hohen Betoneinsatz bei Tunnelanlagen und Tiefbahnhof von Stuttgart21 - I, also auf Basis der bisherigen S21-Planungen, sind nicht mehr revidierbar. Abwendbar sind jedoch:
Sollte es zu einer Realisierung der Ergänzungsprojekte kommen, dürften die Klimabelastungen noch deutlich höher ausfallen, denn im Gutachten von Rößler wird noch entsprechend den Planungsvorgaben von jeweils nur zwei Tunnelröhren ohne extra Rettungstunnel und einem nur 4- statt wie inzwischen vorgesehen 6-gleisigen unterirdischen Kopfbahnhof ausgegangen.
Klimapolitisch positiv zu Buche schlagen würde der im Umstiegskonzept vorgesehene Ausbau des S-Bahn-Verkehrs zu einem Ringsystem, womit viel Pkw-Verkehr im Umfeld von Stuttgart auf die Schiene verlagert werden könnte.
Wird der Schienenverkehr weiter über den Kopfbahnhof abgewickelt und die S21-Infrastruktur durch ein System unterirdischer Güterlogistik genutzt, entstünde ein klimapolitischer „Kollateralnutzen“. Durch flankierende verkehrliche Maßnahmen würde der oberirdische Lkw-Verkehr erheblich reduziert. Die Plausibilitätsstudie von Precht/Wilde von April 2021 4 errechnet je nach Szenario 700.000 bis 4.3 Mio. eingesparte Lkw-Kilometer, was zu einem weiteren Einspareffekt von 320 t bis zu 2.000 t CO2 pro Jahr führt.
Mögliche Effekte der Verkehrsverlagerung vom LKW auf das System City-HUB am Beispiel der Teilstrecke Untertürkheim – Hauptbahnhof:
Eine Verkehrspolitik, die sich an den klimapolitischen Zielen orientiert und die Klimawissenschaften ernst nimmt, muss gerade bei Stuttgart21 Konsequenzen ziehen.
1 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
2 Quantifizierung der Treibhausgasemissionen des Projekts Stuttgart 21 http://www.umstieg21.de/assets/files/thg-endbericht_s21_251017.pdf
3 Rößler Gutachten Ergänungsprojekte Grobabschaetzung-der-Baukosten-und-Treibhausgasemissionen-zusaetzlicher-Tunnel-als-Ergaenzungsprojekt-fuer-Stuttgart-21.pdf
4 Plausibilitätsstudie von Precht/Wilde von April 2021 http://www.umstieg21.de/assets/files/Precht_Wilde_Plausibilitaetsstudie_Gueterlogistik_S21.pdf