Das Konzept UMSTIEG21 versteht sich als umfassender Gegenentwurf zu Stuttgart21, indem Umnutzungsalternativen und Lösungen auch für das verkehrliche und städtebauliche Umfeld des Bahnhofsbereichs vorgeschlagen werden. Schwerpunkte des Updates 2021 sind Konversionsvorschläge zu den inzwischen weitgehend fertiggestellten Tunnelanlagen und dem Tiefbahnhoftrog. Auf alle weiteren Elemente des Umstiegskonzepts, wie es 2016 vorgestellt wurde, wird hier nur kursorisch eingegangen.
Der auch architekturgeschichtlich bedeutsame Kopfbahnhof, dessen Seitenflügel amputiert worden sind, hat es verdient, durch den Wiederaufbau beider Seitenflügel „rehabilitiert“, wieder „in Stand gesetzt“ zu werden, auch wenn es dabei nicht um eine Kopie der alten Flügelbauten gehen kann, sondern um eine analoge Wiederherstellung ihres Erscheinungsbildes. Auf diese Weise kann das direkte Umfeld des Bahnhofs auch optisch/ästhetisch wieder „geheilt“ werden.
Grafik: Wilhelm Kunz
Zum Mittleren Schlossgarten hin wird der Bahnhofsturm wieder in die langgestreckte Südfront eingebunden sein, welche von drei markant vorspringenden kubischen Gebäudeteilen („Risaliten“) spannungsvoll rhythmisiert wird. Zum Park hin erhält der Bahnhof wieder ein repräsentatives, seiner Bedeutung angemessenes Gesicht.
Vor der monumentalen Hauptfront des Bahnhofs soll der Bahnhofsvorplatz vom Individual-Verkehr befreit werden. Nur noch Linienbusse und Taxis sollen ihn künftig befahren dürfen. Für den Individualverkehr sind zwei Vorfahrten eingeplant: eine an der Schillerstraße im Süden, an der auch die Zufahrt zur PKW-Tiefgarage unter den Bahngleisen vorgesehen ist. Eine Verkehrsberuhigung des Bahnhofsvorplatzes ist auch bei S21 möglich, könnte aber erst nach einer Fertigstellung des Gesamtprojekts, Rückbau des Gleisvorfelds und Herstellung des Cityrings über die Wolframstraße, d.h. in unbestimmter Zeit, realisiert werden.
Die andere Vorfahrt liegt - wie seither auch - vor dem Nordflügel, am Nordausgang des Kopfbahnhofs, also barrierefrei, weil ebenerdig zu den Bahnsteigen. Einige Kurzzeit-Stellplätze sollen für ein knappes „Kiss-and-ride“- zur Verfügung stehen. Mit dem wiederhergestellten Nordflügel wird die verloren gegangene wichtige Platzwand zum Kurt Georg-Kiesinger-Platz wieder erstehen. Der Nordausgang erhält damit seine für S21 weggerissene zweite Schulter wieder zurück und die halbierte Seitenfront des Bahnhofs-Hotels bekommt damit wieder ihr Gegenstück. Die oberen Stockwerke des Nordflügels bieten sich zur Unterbringung weiterer Hotelzimmer, für zusätzliche Konferenzräume, Bahnhofsverwaltung und Dienstleistungen oder auch für öffentliche Dienstleistungen.
Im Konzept UMSTIEG21 steht eine Aufsiedelung des jetzigen Abstellbahnhofs auch weiter nicht zur Debatte, aus mehreren guten Gründen:
Dies ist eine Warnung, die in Zeiten sich zuspitzender Erderhitzung umso ernster genommen werden sollte.
Nach einer von der Stadt Stuttgart in Auftrag gegebenen Klimastudie heizt sich im Sommer der Talkessel kräftig auf (siehe Abb. links). Das Gleisvorfeld kühlt sich bei Nacht am stärksten ab (siehe Abb. rechts), und hält so die Temperaturen im Talkessel in Grenzen.
Grafiken: stadtklima-stuttgart.de
Immerhin ließe sich im sogenannten C-Areal (zwischen dem Pragfriedhof und dem Nordbahnhof, nahe den Wagenhallen gelegen) auf etwa der halben Fläche - aber fast sofort - ein neues Wohnquartier verwirklichen:
Diese bebaubare Fläche, die sich gleichfalls im Eigentum der Stadt Stuttgart befindet, wird derzeit noch von der Bau-Logistik für Stuttgart21 genutzt.
Wie der für UMSTIEG21 bereits 2016 erarbeitete städtebauliche Testentwurf gezeigt hat, kann hier ein innenstadtnahes, verkehrsberuhigtes, durchgrüntes und vom ÖPNV gut erschlossenes Wohnquartier (Die Neue Prag) mit bis zu 1.000 Wohneinheiten entstehen. Das wäre nach kurzem Planungsvorlauf unter Berücksichtigung verkehrlicher Optionen (Nordkreuz) möglich. Für das Stadtklima ist dieses Gelände deutlich weniger problematisch als das Rosensteinquartier. Letztlich müssen auch hier der Wohnraumbedarf und Alternativen der Wohnraumbeschaffung im Rahmen einer Klimaverträglichkeitsprüfung abgewogen werden.
Im C-Areal steht die historische Brücke der Gäubahn, die auch künftig die unverzichtbare Panoramabahnstrecke mit dem Kopfbahnhof verbinden soll. Dass die über diese (Eisen-)Brücke fahrenden Züge lärmen - was ein erheblicher Störfaktor in dem angedachten Wohnquartier wäre - wird sich mit zwei Methoden weitgehend beseitigen lassen: Die Eigenschwingungen der Brücke können mit untergesetzten weiteren Stützen erheblich verringert und die Schienen könnten zusätzlich auf schalldämmende Platten verlegt werden.
1 https://www.stadtklima-stuttgart.de/index.php?klima_s21_grundlagen_kap4.1